© Wolfgang Schmidt

„Wir sind Hefe im Sauerteig“

Katarina Kruhonja (geb. 1949) ist Ehefrau, Mutter, Nuklearmedizinerin, bekennende Katholikin und Trägerin des „Right Livelihood Awards“, des so genannten „Alternativen Nobelpreises“, den sie (gemeinsam mit Vesna Terselic) 1998 für ihre Friedens- und Versöhnungsarbeit verliehen bekam. Die Ärztin ist Mitbegründerin des „Zentrums für Frieden, Gewaltlosigkeit und Menschenrechte“ in Osijek und seit 2007 Mitglied des Exekutivkomitees von Pax Christi International.

Ihr Einsatz für nachhaltige Friedensarbeit wurzelt in einer inneren Erfahrung im Kriegsjahr 1991. Seit damals widmet sie sich in Initiativen und Kooperationen dem Frieden, der Versöhnung und dem Aufbau der demokratischen Zivilgesellschaft im Nachkriegskroatien. In ihrer Eigenschaft als Trägerin des „Right Livelihood Awards“ (1998) war Katarina Kruhonja im November 2010 zu Gast in Bregenz bei den jährlich stattfindenden „Projekten der Hoffnung“ und referierte über ihre Arbeit im Rahmen des Friedens- und Versöhnungsprozesses, den sie – in einer Koalition gemeinsam mit anderen NGOs – für Exjugoslawien –  initiert hat und nunmehr mit aller Kraft begleitet.

Frau Dr. Kruhonja, welche Rolle spielen Glaube und  Religion in Ihrem Leben und in ihrer Arbeit ?
KK: Ich bin gläubige Katholikin. Meine religiöse Reise hat aber schon vor dem Krieg begonnen. Aber dann kam dieser sehr, sehr wichtige Moment in meinem Leben, das  war  während des Krieges – im Jahr 1991. Mir ist klar geworden, dass unser Leben in der Logik des totalen Krieges vor sich geht, dass alles von der Logik der Gewalt und des Hasses dominiert ist. Das heißt es in dieser Situation nur „uns“ und „sie“, „WIR und „die „Feinde“. Ich hatte das Gefühl, in einem Gefängnis zu sein. – Und da sind dann spirituelle Fragen hochgekommen und ich bin offen geworden, vor allem für eine Frage: „Wie kann ich meinen Feind lieben?“

Und – haben Sie eine Antwort gefunden ?
KK.: Ja, ich denke schon! – Ich habe begonnen, meine persönliche Verantwortung am Krieg und für den Frieden zu erkennen und – ebenso wichtig war es – diese Verantwortung auch für mich zu akzeptieren. Das war und ist keine leichte Sache, aber es hat mir geholfen, den Ausweg zu sehen, eine Antwort zu erkennen. Ich habe realisiert, dass es immer noch einen anderen Weg gibt, zwischen dem „Uns“ und „ihnen“. So habe ich angefangen zu versuchen, die Logik der Gewalt und des Krieges zu verstehen. Ja, und dann ich habe angefangen, mitten im Krieg den Frieden zu leben, gewaltlos zu sein und was es bedeutet den Feind zu lieben.

Wie wichtig ist der Glaube in der Friedensarbeit in Kroatien?
KK: Spiritualität ist für jede Friedensarbeit wichtig, nicht nur bei uns in Kroatien. Juden, Buddhisten, alle Religionen kennen diesen „inneren Frieden“ – mit Gott vielleicht oder das eben, was immer die Leute glauben! Aber dieser innere Frieden ist die entscheidende Komponente, ein wichtiges Element in jeder Friedensaktivität. Natürlich hatte ich auch Zweifel an meinem Engagement und einmal suchte ich das Gespräch mit dem Bischof. Er sagte zu mir: „Sehen Sie, wenn Sie für den Frieden arbeiten für den Frieden, sind sie eben wie die Hefe im Sauerteig!“

Welche Rolle spielen die Kirchen (in Kroatien und Serbien) bei der Auferbauung des Friedens in diesen Ländern?
KK: In Kroatien ist die katholische Kirche besonders bedeutsam weil Sie die Kirche der Mehrheit ist. Die Kirche unterstützt die Menschen in ihrem Recht, in einem selbständigen und unabhängigen Land zu leben. Und sie steht dafür ein, dass die Menschen das Recht haben diese Unabhängigkeit auch zu verteidigen. Ebenso stellt sie sich auf die Seite der Opfer des Krieges.
Was in meiner Sicht fehlt, das ist ein klarer Ruf zur Versöhnung! Ja, die Kirche sollte in der Versöhnung eine führende Rolle einnehmen. Das wünsche ich mir, gerade weil ich Mitglied der Kirche bin. Also – für den Moment ist das noch nicht der Fall. Was mich aber ermutigt, ist die Tatsache, dass die Kirche den Dialog des Friedens im Prinzip über die Etablierung eines regionalen Instrumentes des Versöhnungsprozess – RECOM [1], unterstützt. Das ist ein Versöhnungsprozess auf der Basis von regionalen „Wahrheitskommissionen“, wo die Kriegsvergangenheit in öffentlichen Sessionen aufgearbeitet wird. Seit 2008 hat eine Koalition von NGOs aus allen post-jugoslawischen Staaten diesen Dialog-Prozess etabliert. Praktisch stehen in diesen regionalen Kommissionen die Opfer des Krieges im Zentrum, darunter auch die vielen bis heute vermissten Personen und um die Benennung von Kriegsverbrechen, die geschehen sind. Und da erleben wir, dass die Kirchen eine ganz wichtige Rolle haben können. Da werden wichtige Schritte gesetzt in Richtung Aufbau der Zivilgesellschaft und der Zusammenarbeit von Zivilgesellschaft und Kirche.

Gilt das auch für die orthodoxe Kirche in Serbien ?
KK: Ja, da ist es wohl ähnlich. Im Moment gibt es innerhalb der orthodoxen und muslimischen Kirchen in Serbien und Bosnien, verschiedene Gruppen, die in diesem Dialog teilnehmen.

Wie ist das Klima (im Moment) für Ihre Friedens- und Versöhnungsarbeit in Kroatien?
KK: Das soziale Klima hat sich sehr verändert. Das ist besonders für die Kriegsopfer wichtig. Der große Schritt, der in dieser Hinsicht bis heute gemacht worden ist, besteht darin, dass heutzutage die Mehrheit der Menschen in Kroatien bereit ist, zu akzeptieren, dass es Kriegsverbrechen gegeben hat und zu sagen: Verbrechen ist Verbrechen, Opfer ist Opfer. Und es ist dabei gleich, ob es sich um Serben oder Kroaten handelt. Für die Aufarbeitung der Kriegsfolgen ist eine solche Atmosphäre ganz wichtig. Seit etwa fünf oder sechs Jahren ist auch die Zusammenarbeit der Opferorganisationen auf beiden Seiten ständig gewachsen. Das sind zwei Elemente, auf denen wir unsere Friedens- und Versöhnungsarbeit gut weiterführen können und zwar in Serbien wie in Kroatien.

Und wo liegen die Hauptschwierigkeiten ?
KK: Nun, da ist vor allem das Problem, dass die Opfer für politische Zwecke manipuliert werden. Das gefährdet unsere Arbeit, wenn die Opfer von Krieg und Gewalt von der Politik oft richtiggehend missbraucht werden – und das trägt dazu bei, dass die Opfer nicht aus dem Teufelskreis der „Viktimisierung“, des Verschweigens erlittener Gewalt zum Beispiel heraustreten können. Es kann nicht zur Vergebung kommen und Versöhnung rückt so in weite Ferne. Da spielen auch die Medien eine wichtige Rolle!

Nun, eine ganz andere Frage: Warum sind Sie nicht Politikerin geworden ?
 KK: (lacht) Vor allem wohl deshalb, weil ich meiner persönlichen Vision folgen wollte und gefolgt bin. Das ist im übrigen auch jene Vision, der sich das „Zentrum für Frieden, Gewaltlosigkeit und Menschenrechte“ in seiner Arbeit verpflichtet sieht. Nämlich, dass zuerst die Bürger verantwortlich sind und Macht haben, indem sie sich verantwortlich einbringen und organisieren können, also Anteil nehmen können an der Politik. Diese Vision ist zu unserer „Mission“ geworden, zur Aufgabe des Friedenszentrums. Es geht mir und uns also darum, die Menschen in ihren Möglichkeiten zur Verantwortung und zur Teilhabe an politischer Macht zur Gestaltung der Gesellschaft zu fördern. Das ist etwas, das ich gerne tue, das mir Freude macht. Am Aufbau der Zivilgesellschaft an der Basis mitzuwirken, denn natürlich brauchen wir Politiker/innen mit einem neuen Profil für die Gestaltung einer guten Zivilgesellschaft. Also: Politikerin zu sein, das ist nichts für mich, das ist etwas für die jungen Menschen…

Welche Erfahrungen bestärken Sie in Ihrem Einsatz ?
KK: Ganz am Anfang, als ich 1991 begonnen habe, begegnete ich einem Menschen, der Atheist war. Er hat mit mir „gefühlt“ – diese Begegnung war für mich persönlich ganz wichtig und ich erlebe immer wieder, wie wichtig persönliche Begegnungen sind und das Gefühl, einander zu verstehen. Dann: In der ersten Phase unserer Arbeit war es auch wichtig, dass Menschen von außen gekommen sind. Besonders wichtig waren Adam Curle[2] und Herbert Fröhlich[3], denn sie haben uns zwar mit Anteilnahme aber nicht als Opfer angesehen, sondern als Teil der möglichen Lösung. Hier war es das Zuhören und ihr Nachfragen, wo wir die Möglichkeiten sehen in unserer Situation, welchen Beitrag wir imstande sein könnten zu leisten. Und das Wichtigste: Wenn ich mit den Leuten arbeite, mache ich die eigenartige Erfahrung, dass ich mehr bekomme als ich gebe. Je näher ich auch ganz unbekannten Menschen komme, habe ich das Gefühl, mehr über mich lernen.  Diese Erfahrung aus der alltäglichen Arbeit ermutigt und bestärkt mich jedes Mal. – Sehen Sie, ich begegne sehr vielen Menschen, meistens unbekannte Leute, die gelitten haben unter dem Krieg und unter oft fürchterlicher Gewalt. Viele waren im Gefängnis und viele haben Schreckliches erleben müssen. Aber immer wieder gibt es  im Alltag  kleine Zeichen, dass die Menschen sich verändert haben, und viele beginnen langsam, Schritt für Schritt für den Frieden zu arbeiten. Wir sind wie die Hefe im Sauerteig (4) – ich glaube, die Hefe wirkt…<


[1]    Regional Consultation on Mechanisms of Truth-Telling. Das ist der englische Kurztitel für eine seit 2008 laufende Bewegung, in der in regionalen Konsultationen – ähnlich den „Wahrheitskommissionen“ in Südafrika – die Benennung und Aufarbeitung von Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen geht, die in der Zeit von 1991 bis 2010 im Territorium des früheren Jugoslawiens begangen worden sind.
[2]    Adam Curle (1916 – 2006). Als Charles Thomas William Curle ist er in L’Isle-Adam, im Norden von Paris geboren worden. Er war ein britischer Akademiker und als Quäker aktiv in der Friedensbewegung, wo er als „Adam“ – nach seinem Geburtsort – bekannt war.
[3]    Herbert Fröhlich (+ 30. März 2005) war seit 1975 in verschiedenen Funktionen bei Pax Christi Deutschland und Pax Christi International tätig. Der Frieden in Ex-Jugoslawien lag ihm besonders am Herzen.
(4) „Und wiederum sprach er: Womit soll ich das Reich Gottes vergleichen? Es gleicht einem Sauerteig, den eine Frau nahm und unter einen halben Zentner Mehl mengte, bis es ganz durchsäuert war.“ vgl. Lukas 13,20–21 LU

Links (alle verlinkten Homepages sind in englischer Sprache verfügbar):
CPNHR Center for Peace, Nonviolence and Human Rights (Osijek(Coratia)
RECOM (Regionale Kommissionen zur Aufarbeitung der Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien)
Coalition for RECOM (Motive, Gründe und Anliegen der Bürgerbewegung )

Dieser Beitrag ist im Vorarlberger KirchenBlatt vom 7.12.2010 erschienen.