Gottesanb(i)eterin. Es war eine „Begegnung des Schweigens und Beobachtens“ mit einer Gottesanbeterin (mantis religiosa) aus der der grenzgeniale Titel erwuchs. Das zusätzliche, kleine „i“ ist offenbar Frucht einer Betrachtung, immer schon und noch immer Quelle der Kreativität und Inspiration. Auch „Fragen an ihren Glauben und die Vielgestaltigkeit von Religion“ also an „jenes geschmackverstärkende, mal verträgliche, mal unverträgliche, Glutamat des Seins“ kommen daher. Eine eher diesseitige, sinnliche Angelegenheit, Geschmacksfrage auch und bei der Verträglichkeit muss man aufpassen. Tja, das Glauben, Hoffen, Lieben – sind als Realität ‚embedded‘ – eingebettet in das Sein, und so kaum zu lösen voneinander. Das passt, gerade weil und wenn es theologisch ein bisschen wackelt und Luft nach allen Seiten gibt, that’s poetry, sozusagen …
Werden Sorgen Gesänge
In ihrem jüngsten Lyrikband „Gottesanbieterin“ kümmert sich Nora Gomringer Gretchenfragen, gibt poetische Antworten und deklariert sich als Christin. Ein Lesebericht von Walter L. Buder.
Das Buch kommt cool daher. Im silbern glänzenden Cover, sieht sich die Leserin, der Leser gespiegelt. Die äußere Form kokettiert mit dem Inhalt. Zara Teller hat das Buch gestaltet, ihre SW-Illustrationen (Grafiken, Fotos) kommunizieren mit den Texten. In fünf Kapiteln, sind auf 95 Seiten 49 Texte zu lesen und auf der beigelegten Audio-CD zu hören. Die Autorin liest persönlich – feine Sache!
Die poetische Kraft und sprühende Energie der vielgestaltige Texte kommt aus dieser Quelle und der dichterischen Arbeit: Die Poetin schaut sehr genau und nimmt wahr, auf und an, was ist, was fehlt; sie holt heraus und zerrt ans Licht, stellt dar und klar, schreibt auf und ab, hält fest, macht klar und manchmal scharf -in jeder (!) Hinsicht – was ihr ins Auge springt und an die Nieren geht, was ihr aufgeht, in den Sinn kommt und auf dem Herzen liegt. In ihren Gedichten erscheine „das uns sonst so vertraute Leben bisweilen knochenfremd und urplötzlich aufkündbar“, schreibt der Gomringer-Fan und Schriftsteller Celemens Setz, der „ihren Texten attestiert, was man früher claritas (Klarheit), veritas (Wahrheit) und integritas (Reinheit, geistige Frische) nannte. Das trifft zu, ist gut gesagt. Aber auch den Wort- und Sprachwitz, den Humor und – ja! – den Charme der Zuneigung, das gibt dem Realismus dieser Poesie Weite, Offenheit und Tiefe.
Das Outing als bekennende Christin – Applaus (95), das letzte Gedicht im Buch – ist nicht nur des Lesens, sondern auch einer Meditation würdig. Was hier gut ankommt, ist andernorts, bei anderen Leuten anders. Öffentlich bekannter Glaube, ist spaltverdächtig, angstbesetzt. Aber Gomringers christlicher Einstand ist stark, weil mannigfaltig, widerspenstig und so originell wie undogmatisch, dass jede (!) Vereinnahmung scheitert. Sie sagt dazu: „Ich muss mir meine Religiosität nach meinem Gewissen machen und nach dem, wer ich bin“ und personalisiert ihre Religionsdefinition. Dabei zwinkert sie als gut sozialisierte Katholiken (das sagt sie selber) freundlich und charmant dem Zeitgeist zu.
Das Angebot in der poetischen Auslage ist irgendwie allumfassend und wer Gott sucht, findet Spuren – zwischen den Zeilen und überhaupt im In-Zwischen von allem und jedem. Gedichte wie Spickzettel, hilfreich zur Einordnung irdischer Vorkommnisse wie von Tinder, Leid und Tod; oder wie Kassiber, mit Zeichen von Engeln, einem leeren Grab und von „12 followern“; wie Protokolle von urewigen Ritualen, vergessener Menschlichkeit. In Ministantenkutten hängt der Weihrauch und im blauen Mantel der Gottesmutter wohnen Seelen, und „Man sieht’s“ (80), der „Fremde am Holzkreuz“ verwandelt sich in einen „Kummerkasten aus Holz mit Schlitz / Gut, dass hier alles gewandelt wird. / Werden Sorgen Gesänge./ – Also: „Vorsicht! Nora Gomringer könnte Sie amüsieren, irritieren, aus berechtigten Gründen zum Weinen bringen! Ist alles schon vorgekommen …“.