Der frühere Innsbrucker Dogmatiker Józef Niewiadomski meldet in einem Kathpress-Beitrag (1) ernste Vorbehalten gegen „virtuelle“ Gottesdienste via Livestream an. Das Sakrament der Eucharistie verlange „das reale Essen des eucharistischen Brotes“ und – angesichts der wohl über Ostern hinaus geltenden Corvid-19-Regeln (soziale Distanz) – schlägt er vor, auf „die alte Tradition (zurück zu greifen), die Eucharistie von Angehörigen in die Häuser holen zu lassen.“
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Die Vorbehalte gegen die „virtuellen Messen“ unterstreiche ich. Selbst als Not-Lösung sind sie weder theologisch noch spirituell hinreichend. Sie tun der Kirche nicht gut! Vielleicht ist es eine ungesunde Einseitigkeit, eine Störung in der Leib-Seele-Balance, eine teilweise Selbstvergessenheit im vorausgesetzten Eucharistieverständnis, wenn auf die leibhaftige, die „fleischliche“ Dimension in Form und Inhalt des Gedächtnisses des Lebens und Sterbens Jesu verzichtet wird. Die Eucharistie ist ganzheitlich zu nehmen, in jeder Hinsicht und Rücksicht sind Teil-Nehmen, Teil-Geben, Teil-Haben am eigenen und am Leben und Sterben der Anderen in concreto verbunden. Ebenso wichtig und zu unterstreichen, ist die Mahnung an die Leitenden in der katholischen Kirche, für „neue Modelle kirchlich-sakramentaler Präsenz“ zu sorgen. Den konkrete Vorschlag, die Eucharistie „von Angehörigen in die Häuser holen zu lassen“ und aktualisiert die „seit Alters her“ praktizierte Krankenkommunion.
Radikalisierung des Vorschlags. Könnte man vielleicht auf eine noch ältere Tradition der ‚Volkskirche‘ zurückzugreifen, nämlich auf das, was man aus der Urgemeinde, der Urkirche weiß. Die ersten Christen versammelten sich dem Wort und Versprechen Jesu entsprechend, dass dort „wo zwei oder drei in meinem Namen“ beieinander sind, auch Er, der Auferstandene, mitten unter ihnen sei. Und – wenn schon, denn schon … am Brotbrechen, dem gemeinsamen Hören und lebensnahen Auslegen des Wortes Gottes in geschwisterlicher Gemeinschaft zu Gunsten eines bestärkten, getrösteten und vertrauensvollen – sprich: durch Gottes Geist verwandelten – Lebens. – Im Vergleich mit dem, was die Kleruskirche dem Volk Gottes momentan mit diesen virtuellen oder digitalen Messen, die aus bischöflichen Hauskapellen oder sonstigen Örtlichkeiten übertragen werden, anbietet, wird deutlich, wo die Möglichkeiten liegen.
„Necessitas caret lege“ (die Not kennt kein Gesetz), auf dieser Basis könnten die Bischöfe mutig und solidarisch ‚ihre‘ Gläubigen einladen, dort wo sie leben – den Corvid-19-Regeln entsprechend – das „Gedächtnis des Herrn“ begehen – der Liebe zu Gott und dem Nächsten vollkommen entsprechend. Als Behelf könnte man u. a. auf 1 Kor 11,24 verweisen, wo der Apostel Paulus den Christen in Korinth die rechten Worte in den Mund legt: „Jesus nahm das Brot, sagte Dank, brach es – und sagte: ‚Das ist mein Leib, hingegeben für euch.'“ Und Jesus selbst sagte zu seinen Leuten: „Das ist mein Leib und das ist mein Blut; tut das in Gedanken an mich (zu meinem Gedächtnis)“. Seit damals und bis heute kann man am Leben und Sterben Jesu ablesen, was „BROT-BRECHEN“ ganz konkret – im Leben – bedeutet, das Leben zu öffnen, die Kruste (Verkrustung) des Lebensbrotes zu teilen, mit allen Sinnen wahrzunehmen, was „brechen“ bedeutet, mit all den Leiden in Verbindung (Kommunion) zu sein und bereit, alles zu teilen, in der menschlichen Arbeit das Lied Gottes zu vernehmen“ (Patrick Tiberghien). Und Huub Oosterhuis fragt, in derselben Sache: „Wann wirst du Jemand sein? – Wenn du teilnimmst am Leben der anderen Menschen und wenn du eine Rolle spielen kannst im Glück eines anderen. Ja, das heißt leben: sich vergeben, verbrauchen, alt werden, vollenden, sich mit-teilen, brechen-lassen, sterben…“. (3) Das ist im Wesentlichen die Art und Weise, wie die frühen Christen, vor allem Klerikalismus und Formalismus, das Leben selber und ihr eigenes Leben feierten.
Schritt zu den Quellen. Wenn und weil es um „Eucharistiefeiern ohne Priester“ geht, weil es den Priestermangel gibt, weil die Amazonas-Synode und ihre Nachwehen in ‚Querida Amazonia‘ noch präsent sind, weil die Frauen am 8. März weltweit ihren Unmut und zunehmenden Unwillen der Kirche gegenüber öffentlich protestierend deutlich gemacht haben, weil Corvid-19 das ‚heilige Land Tirol‘ unter Quarantäne gezwungen hat, und weil Józef Niewiadomski, der in Innsbruck gelehrt und gelebt hat und diesen klugen Vorschlag gemacht hat – deswegen möchte ich an Martha Heizer (2) erinnern. Sie hat – das ist jetzt 6 Jahre her, im Jahr 2014 – gemeinsam mit ihrem Ehemann und einigen Freunden in ihrer Wohnung, gleichsam Hauskirche par excellence – eine „Eucharistiefeier ohne Priester“ gefeiert und ist für ihren Wagemut vom damaligen Ortsbischof exkommuniziert worden. Die Familie Heizer wurde für einen Schritt bestraft, der die Richtung zu den Quellen einschlug. Das ist bitter, und es ist doppelt bitter, wenn es unter Kindern Gottes geschieht, unter Geschwistern, unter jenen und solchen, die bereits miteinander das Brot gebrochen haben.
Konkret werden, wo ist das Problem? Angesichts der konkreten Not-Situation wegen Corvid-19 – faktisch finden weltweit keine öffentlichen Osterfeiern statt – ist eine beispiellose Möglichkeit befreit: Ein Zeitfenster, ein Kairos vielleicht, ein „moment in time“, ein temporärer Handlungsrahmen für ein engagiertes, ein ‚heiliges‘ Experiment. Die Einladung der Bischöfe ergeht an alle, die guten Willens sind, an Suchende und Gläubige.
Die offene Einladung wäre als Vertrauensbeweis zu verstehen. Eingeladen würde zu „eucharistischen Versammlungen“ – konkret: Zwei oder Drei Personen (die Anzahl soll den jeweils geltenden Quarantäne-Regeln entsprechen aber fünf Personen nicht übersteigen) kommen zusammen und wagen, in spontaner Gemeinschaft, selbstständig und ohne einen Priester (als Leiter), ihr Leben ins Licht des Auferstandenen und des Wortes Gottes zu stellen, es auf-zu-brechen – im einfachen, wahren Sinn des ursprünglichen Brotbrechens, wie Paulus es im 1. Korintherbrief (11,24) beschreibt.
Der Vorschlag, in der heurigen Osterzeit so zu verfahren, ist nicht immer und überall willkommen. Also stellt sich die Frage: Wo ist das Problem? – Der Frankfurter Priester-Dichter Lothar Zanetti hat in nur wenigen, fast lapidaren, lakonischen Zeilen, das Problem in Worte gefasst, dem sich sowohl die Menschen, die Christen unter ihnen und die strukturierten Organisationsformen, die Kirchen, zu stellen hätten:
Frag 100 Katholiken: Was ist das Wichtigste an der Kirche? Und sie werden dir sagen:
Die Messe. Frag 100 Katholiken: Was ist das Wichtigste an der Messe? Und sie werden dir sagen: Die Wandlung. Sag 100 Katholiken: Das Wichtigste an der Kirche ist die Wandlung.
Und sie werden sich empört abwenden.
© Walter L. Buder (20.03.2020)
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