Tag 03: Wachstum, Klimasünder und Wir

– Mein Gefährte in Sachen Schweigekreis, Christoph Koch, hat heute ‚übernommen‘. Mein Zahntermin ist schon lange vereinbart. Nein, es ist nicht so, dass ich fehlen würde. Aber während ich im bequemen Stuhl liege, in meiner Mundhöhle gearbeitet wird, kann die Fantasie Spazierengehen – knapp nach 11.59h bin ich fertig, stehe aus dem Stuhl auf und spüre dem Gefühl nach: Der Kreis fehlt mir … 

 Im Zug lese ich in der Presse (vom 2.11.21) die Seite 13. Reiner Zufall, dass ich genau darüber stolpere. Es ist der „Economist“ der da spricht – eine kleine Sekunde nur, bleibe ich am „…mist“ hängen … naja, der Verlängerte kommt und es lächelt um meine Lippen. Also, die oberen 2/3 der Seite 13 sind übertitelt: „Starker Privatkonsum befeuert Wachstum“. Mehr braucht man nicht zu wissen, klar! Der Untertitel stillt den Rest der erlahmten Neugier: „Das Wifi sieht für Österreichs Wirtschaft bis zum Jahr 2026 schöne Wachstumsraten … Und mehr Wachstum als im Durchschnitt der Euroländer“.  Dreimal darfst Du raten: Was denn da daher wächst, der Privatkonsum, eh klar … „realer Konsumzuwachs von jährlich 2,3 %“. Na, bumsti do schaust … Was kümmert mich der „…mist“ von gestern, pardon …

Im unteren Drittel der Seite fällt der Blick zuerst auf ein Fotos des blonden Wirrkopfs von der uneuropäischen Insel. Böse schaut er nach rechts hinüber, ballt die Faust. Aufösung in der Bildunterschrift: „Es ist eine Minute vor Mitternacht“ verkündet der Gastgeber von Glasgow. Aha, denkt es mir, kurz vor Tagesanbruch also, es wir langsam heller … Im Titel des 5-Spalters steht: „Ein internationaler Klimagipfel ohne den größten Klimasünder“. Aha, wer ist denn der böse „Klimasünder“. Der Economist weiss es: Es ist „China, das die meisten Treibhausgase produziert“ und auf Anwesenheit in Glasgow „verzichtet“. Dass der Economist dieses politische UN-Wort in den Mund nimmt … Mir fehlen grad die CO2-Werte eines Fluges von China von Peking nach Glasgow (für die komplette Entourage des Kaisers von China“, und die der Autokolonne vom Flughafen zum Hotel, das für Herrn XI Jinping vorgesehen gewesen wäre – man könnte ja der vermessenen Ansicht sein, dass solcher Verzicht auch eine lobenswerte Komponente hätte. Er hat schriftlich geschickt, was er zu sagen hat und das ist ja nicht erst seit gestern bekannt … Nur noch das: „Vertreter von 197 Staaten“ haben die CO2-Bilanz 2021 für die Nichtmehreuropäer auf der Insel ordentlich aufgefettet oder etwa nicht … ? 

So ähnlich hat mir letzthin einer geantwortet als ich ihn auf den Schweigekreis angesprochen hatte: „Solange die alle durch die Welt fliegen und in ihren Schaukeln herumfahren und BLABLABLA (er hatte Greta schimpfen gehört) machen, solange bleibe ich, wo und der ich bin. Danke, kein Bedarf….“ Jetzt aber: Wer ist da eigentlich ein Klimasünder? Klar, die Chinesen, keine Frage! Und die 197 anderen auch und es gibt noch einen Haufen, die wir noch gar nicht kennen.

Sagen wir so: Nicht nur der Economist sucht lieber Sündenböcke als dass er vor seiner eigenen Türe kehrt, oder? Und er weiß, wie gerne seine Leser/innen (Wir!) das mögen. Es erleicht einfach! Wie mein ansonsten recht liebenswerter Kollege, dessen  Ansprache – zugegeben! – einen wahren Kern hat aber von der Wahrheit (was immer das ist?) doch noch etwas entfernt ist. Ich fürchte, das ist auch eines der Probleme in Glasgow: Anstatt Energie mit dem in- und Hergeschiebe von Sündenböcken aller Art verpuffen zu lassen, wäre die Arbeit für den Weg, der zur Übernahme von Verantwortung führt, hilfereicher, Erfolg versprechender und – vor allem – realistischer!  – Klar: Wir werden in Glasgow zu Zeugen/innen eines der schwierigsten Unterfanges der Menschheitsgeschichte: Der Entscheidung, auf illusorische Spielchen (Sündenböcke) zu verzichten und den offenen Übergang in die Wirklichkeit und Wahrheit eines guten Lebens für Alle in der Menschheitsfamilie zu wählen. 

Gestern waren es am Anfang 6 Personen und am Ende 16 (!!). Sie standen, im Schweigekreis,  einer Wirklichkeit zugeneigt, die ohne das Zutun einer/s jeden gewiß nicht (so schnell) kommen wird. Die 16 haben eine Antwort gewählt, auf die Frage: Was kann ich als Einzelne/r schon tun? – Aufhören, ein/e Einzelne/r zu sein! (für täglich 30 Minuten – ist schon was!) 

Tag 3: Dienstag, 2. November – Allerseelentag – der Himmel bewölkt, es ist herbstlich kühl, Dienstag ist Markttag. Im Kreis stehen 16 Personen.