Von Andreas R. Batlogg SJ
Gedichte, beispielsweise von Ingeborg Bachmann oder Paul Celan, verweigern sich dem schnellen Zugriff und oberflächlichen Gebrauch. Gedichte von Hilde Domin, Nelly Sachs, Rose Ausländer oder Ilse Aichinger, um nur einige Namen der Großen Damen zu nennen, sind kirchlicherseits durch häufige, nicht selten kontextlose Verwendung zur liturgischen Gebrauchsware geworden. Eine Verzweckung, gegen die sich ein Gedicht, einmal in die Welt entlassen, nicht wehren kann: ausgequetscht wie eine Zitrone, missbraucht, weil zur liturgischen Behübschung verwendet.
In den „Stimmen der Zeit“ war in den letzten Jahren immer wieder einmal die Rubrik „Lyrik“ zu finden; auch um jüngere Autoren wie Ludwig Steinherr (2/2017, 2/2016) vor- zustellen, oder auf neue religiöse Lyrik, etwa von Andreas König (2/2016, 1/2015), hinzuweisen. Kann man Gedichte überhaupt rezensieren? Lesen kann man sie, sich ansprechen lassen. Aber Geltung erlangen sie nicht dadurch, dass sie gefallen oder nicht.
Walter L. Buder, Vorarlberger des Jahrgangs 1948, war Fabrikarbeiter, hat das Abitur nachgeholt, wurde in Theologie promoviert und arbeitete im kirchlichen Dienst. Seit den 1970er-Jahren ist er auch schriftstellerisch tätig. „du / hast mich zum reden gebracht // nun: höre“ (29): Buders Gedichte reflektieren oft ganz alltägliche Situationen, manche spitzen zu, andere überzeichnen oder parodieren, Religiöses oder Autobiografisches wird zart oder direkt angedeutet – man liest ein Gedicht nach dem anderen, neugierig auf das, was noch kommt.
Aus dem Rahmen fällt eine „poetische Skizze“ mit Briefauszügen eines Vorarlberger Priesters: dem im Jahr 2012 seliggesprochenen Märtyrer Carl Lampert (1894-1944), der in Sachsenhausen und Dachau interniert war, später in Stettin wirkte, dort einem Gestapo-Spitzel aufsaß und verhaftet wurde, bis er nach einem Schauprozess im November 1944 im Zuchthaus Roter Ochse in Halle an der Saale hingerichtet wurde.
„Ins Angesicht gesprochen – in die Hand gegeben“ ist das nicht eigens paginierte, drei Seiten umfassende Nachwort von Klaus Gasperi zum vorliegenden Band überschrieben, eine Art Mini-Laudatio mit Leseanleitung: „Der Autor dieses Gedichtbandes spielt und experimentiert mit Worten und er macht dabei klar: Es sind geborgte Worte. Immer geht diesen Worten eine Begegnung voraus. Diese Gedichte sprechen vom Ich, doch dieses Ich ist auf der Suche nach dem Du, es möchte einläuten ,die Zeit von Tür zu Tür‘. Damit dies gelingen kann, braucht es das Hören. Und das genaue Lesen. Und in allem Fremden bleibt immer noch das Hören auf Klang und Rhythmus, die hinwegtragen auch über Sperriges, Unverständliches und Irritierendes.“
„wir standen / am fenster zur welt // du gingst und ich blieb // du bliebst blind / ich erblindete“ (17): Ich verstehe Buders Gedichte als Anleitung zum Sehen, eine Art Schulung oder Einübung – in das tiefere Sehen, zum Schauen hinter die Dinge (trotz Nietzsches Denunziation der „Hinterweltler“), zum genauen, fragenden Blick. Walter L. Buders Lyrik macht nachdenklich, Unterhaltungslyrik ist sie nicht.
Andreas R. Batlogg SJ
„Stimmen der Zeit“ Nr. 11/2017, S. 391