Die Pforte (*)

Öffnet die Pforte, tut uns doch auf!
Wir kommen aus toten Gärten, ihr kühles Wasser ist vergiftet, unser Trost ist vertrocknet, unsere Tränen weinen Staub. Ihr wisst, der Weg – dem fremden immer ein ein feind – ist weit und brennt.

Uns dürstet!
Lasst uns Eure Blumen sehen, öffnet ein wenig Pforte, für einen Blick in den Garten. Wir warten und leiden, vor jedem Tor. Wir klopfen an, wir schieben, wir pressen, wenn es sein muss. Unsere Schläge werden es öffnen – aber die Schranke hält.

Es ist alles vergeblich!
Uns bleibt das Sehen, das Schauen, das Warten. Wir sehen die Pforte: unerschütterlich geschlossen. Wir halten unsere Augen auf sie gerichtet, die Qual treibt die Tränen. Da, vor uns ist die Öffnung und wir vor ihr, mit dem Gewicht der Zeit.
Da hilft kein Wünschen. Aufgeben, das Hoffen. Gehen. Nie kommen wir hinein.
Wir sind es müde, sie zu sehen.

Da, jetzt geht sie auf!
Und entlässt die grosse Stille. Kein Garten. Keine Blume. Alles nur Licht und Leere, unermesslich, nur Raum. Und plötzlich, da, vollkommen erfüllt, das Herz. Und mit einem Mal, siehst du – wie rein gewaschen, die fast staubblinden Augen.

© wb_2011 (Übersetzung)
_____________

(*) DAS GEDICHT „LA PORTE“ VON SIMONE WEIL (1909-1943) LIEGT DIESEM TEXT ZU GRUNDE. SIE HAT ES VERMUTLICH 1942 GESCHRIEBEN. URSPRÜNGLICH IST ES EIN TEXT DES ENGLISCHEN DICHTERS UND MYSTIKERS GEORGE HERBERT (1593-1633). VGL. AUCH: 
SIMONE WEIL, CAHIERS. AUFZEICHNUNGEN. HERAUSGEGEBEN VON ELISABETH EDL UND WOLFGANG MATZ. MÜNCHEN (CARL HANSER VERLAG), O. J., BD. 1, SS. 366/367
Zum Foto: 
Paneuropäisches Picknick. Das Paneuropäische Picknick war eine Friedensdemonstration der Paneuropa-Union an der österreichisch-ungarischen Grenze nahe der Stadt Sopron (Ödenburg) am 19. August 1989. Sie wurde in der Erinnerungskultur nachträglich zum Meilenstein jener Vorgänge stilisiert, die zum Ende der DDR, zur deutschen Wiedervereinigung und zum Zerbrechen des Ostblocks führten.

An der Stelle, wo seinerzeit das Grenztor von den Flüchtlingen durchbrochen wurde, erinnert heute ein Kunstwerk des ungarischen Künstlers Miklos Melocco an die damaligen Ereignisse. In die Kalksteinskulptur mit dem Titel „Durchbruch“ das eine sich öffnende Türe darstellt, ist auch ein Stück der Berliner Mauer eingefügt.