© Isabel de Placido

Dem Frieden übers Ohr begegnen

Ein kulturelles Kleinod am Bodenseeufer – in Lindau-Bad Schachen gelegen – sind die friedens räume in der Villa Lindenhof. Sie ist umgeben von einer englischen Gartenanlage aus dem 19. Jahrhundert, hat freien und direkten Zugang zum Seeufer und unerhört schöne, alte Bäume spenden an heissen Sommertagen wunderbaren Schatten. Ein kleiner Bericht über eine sinnliche und sinnreiche Friedens-Begegnung in den Lindauer ‚friedens räumen‘.
Von Walter L. Buder.

Allein der Szenerie wegen, lohnt es sich per pedes, Drahtesel, Schiff, Bus, Bahn und selbst mit dem Auto nach Lindau aufzubrechen. Im Ostflügel der Villa befindet sich seit 1980 ein Friedensmuseum in der Trägerschaft von Pax Christi Augsburg. Es ist 2001 von der österreichischen Künstlerin Ruth Gschwentner-Wölfle als „friedens räume – museum in bewegung“ völlig neu konzipiert worden. Der „Frieden in Vitrinen“ hatte ausgedient und die aktive und aktivierende, sinnliche und sinnenhafte, personenbezogene Einbeziehung hat den Vorrang bekommen.
 
Die friedens räume stellen den Menschen ins Zentrum der Bemühungen um Frieden und verdeutlichen auch, dass Frieden in der Mitte des menschlichen Tuns und Lassen steht. Dieser friedens-pädagogische, emphatie- und dialogorientierten Ansatz wird in sechs Räumen entfaltet, in denen das Lesen, Entscheiden, das Zwischen, das Tun, der Garten das Hören als interaktive Transferplattformen die sinnliche Erfahrung von „Frieden“ in seiner Vielfalt ermöglicht.
 
In diesem dynamischen Vermittlungskonzept eines ‚lebendigen museums‘ spielte der von der Münsteraner Musikwissenschaftlerin Dr. Mirijam Streibl gestaltete „Hörraum“ mit seinen sieben HÖR-STATIONEN von Anfang an eine wichtige Rolle. Zur Freude des Leitungsteams sind die sieben Hör-Stationen  inhaltlich wie formal aktualisiert und neu gestaltet worden und bilden für die seit Anfang Juni – coronabedingt verspätet –  eröffneten friedens räume das Highlight dieser Saison. Mit Geschichten, Liedern, Klängen, Tönen, Stimmen, Worten, Gedichten und Songs „kann man dem Frieden über das Ohr begegnen, erspüren, erleben. Inspiration und Denkimpulse, die über die Musik das Herz treffen, sind das Besondere an diesem Raum, in dem über das Gehör die unerschöpfliche Vielfalt von Frieden wahrnehmbar ist“, erklärt Mirijam Streibl und macht aus ihrer Begeisterung keinen Hehl.
 
Von der „Flötenparabel“ (Amartya Sen), dem „Loblied auf die Schöpfung“ (Ernesto Cardenal), der Frage nach Grenzen (Dota Kehr) und Brechts Erfahrung, was ein Mensch ohne Pass wert ist bis hin zu John Lennons „Imagine“, Mercedes Sosa’s „Dank an das Leben“ und anderen schönen, fremden Melodien wie „Baba Yetu“ (Vaterunser) und hebräische Sehnsuchtslieder, vom rockigem Protest (Aviv Geffen) über Anti-Kriegs-Balladen und Greta Thunbergs „Wake Up“-Rede, wird übers Ohr das Gespür und Empfinden für den Rhythmus der friedlichen Welt ver-nehm-bar. Es versteht sich von selbst, dass in Peace-Songs und -Stories speziell an die Youngsters gedacht worden ist.
 
Frieden ist dem anderen ein Weg und den einen eine Haltung, für viele ein Lied, ein Gesang, ein Klang – etwas also, das mit dem Hören, mit dem Sinnesorgan ganz direkt zu tun hat. Wie der Krieg, verschafft sich auch der Frieden Gehör und will Gehör finden und ob man dem einen oder anderen Gehör schenkt, ist immer eine Entscheidung. Doch jede/r ist sich im Klaren darüber, dass „es gilt, immer wieder aufs Neue – auch für und in sich selbst – zu suchen, zu finden und je aufs Neue auszuloten“ wem oder was ich mein Ohr leihe. So durchschreitet man die _friedens räume_ wie ineinander verwobene Sinn-Welten, in denen man dem Frieden zugetane Grundeinstellungen für sich oder gemeinsam erkunden und in frei gewählter Intensität begegen kann. Achtsamkeit, Respekt, Courage, Gewaltfreiheit, Dialogbereitschaft, Achtung der Menschen- und Völkerrechte sind zum Mit-Denken, Mit-Tun, aktivierend, greif- und spürbar aufbereitet.
 
Dem Zentralorgan „Ohr“ anvertraut,  lässt man entspannt den Blick ins Grüne und über den See schweifen, kann dabei ganz bei sich sein und bleiben und ausgewählten, feinen musikalischen Genres und literarischen Impulsen selbstbestimmt folgen. Glaubt man dem französischen Arzt  Alfred A. Tomatis (1), hat das Ohr eine Sonderstellung unter den Sinnesorganen. Verbunden mit dem Gleichgewichtsapparat, habe das Ohr auch etwas mit dem aufrechten Gang des Menschen und mit der psychischen Energie eines Menschen zu tun. Das und vieles, von dem hier nicht die Rede war, spricht für die herzliche Einladung von Cornelia Speth, die die Arbeit des 49-köpfigen Ehrenamtlichen-Pools der friedens räume koordiniert: „Ich lade alle, die der Friede nicht in Ruhe lässt, ein, uns zu besuchen. Brauchen wir nicht Anregung zum Denken, Menschen, die uns Mut machen und Ideen, die uns weiterbringen auf dem Weg und der Suche nach dem Frieden?“ – Das ist ein gutes Wort in aller LeserInnen Ohr, oder?!
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Zum großen Foto:
Das Leitungsteam der friedens räume (v.l.): Barbara Stoller, Elisabeth Schedler, Waltraud Bube, Gertrud Hersch, Cornelia Speth (Koordination), Christian  Artner-Schedler (Pax Christi Augsburg).
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(1) Alfred A. Tomatis, Der Klang des Lebens. Hamburg 1987, TB rororo 8791.
  • Für Familien mit Kindern, Schulen, Freundeskreise, div. Gruppen gibt es Spezialangebote. Alle Informationen und Details unter https://www.friedens-raeume.de