Bayard, Paris

Das Wunderbare, das ist die Liebe

In Syrien fallen immer noch Bomben und Gewehrkugeln pfeifen durch die Luft. Und zwischen all dem Tod und der Gefahr, gibt es immer noch Frauen und Männer, die Zeugnis geben vom Wunder des Lebens, der Liebe und der ‚Guten Nachricht‘ des Evangeliums. Nur im zuneigenden Staunen vor den Verschiedenheiten der Anderen werden Versöhnung und Zukunft möglich sein. Über die Wahrnehmung des Wunderbaren und die aus diesem Blick erwachsende Hoffnung, geht es im Gespräch mit dem Priester und Jesuiten Ziad Hilal (1), der im ‚Herzen des Chaos‘, im syrischen Homs arbeitet und lebt. 
 
Das Gespräch führt Sébastien Antoni für „Croire-La Croix“ 
 
Auf dem Titelbild Ihres letzten Buches „Homs – unzerstörbare Hoffnung“, sieht man drei lachende Kinder durch die vom Krieg zerstörte Phantomstadt laufen. Ist es für diese Kinder noch möglich, an das Wunderbare zu glauben?
 
Ziad Hilal (ZH): Es gibt Kinder, die kennen nichts anderes als Konflikte und die harte Realität des Krieges in Homs: Pfeifende Kugeln, ständig Explosionen und eine tiefe Angst, jeden Tag und jede Nacht. Aber – sie habend ihr Lachen noch nicht verloren und ihren kindlichen Schalk in den Augen. 
Das hat genügt, mich zu überzeugen, dass das Wunderbare existiert. Warum sollten diese Kinder es nicht auch entdecken können? Es braucht nicht viel. Die Wiederkehr des Friedens, der Ruhe oder eines Familienmitglieds …das wäre – für sie jedenfalls! – ganz wunderbar!
 
Was ist das Wunderbare für Sie ? Einfach der Glaube an das Leben?
Z.H. Ja!  Die Kinder kennen die Hölle des Krieges, sie wissen um die Bedeutung des Lebens. Und was gäbe underbareres als das Leben? 
Im Arabischen könnte man „Leben“ übersetzen mit „das, was wunderbar ist“. So ist das Wunderbare eigentlich auch die Eröffnung einer besseren Zukunft.
 
Ist das eine Frage des Blickes ?
Z.H.: Das Wunder ist überall, aber es drängt sich nicht auf. Es entfaltet sich nur, wenn man versteht, es zu sehen und – wenn man es sehen will!
 
Braucht es nicht eine ordentliche Dosis Optimismus?
Z.H.: Es geht darum, unterscheiden zu können, was positiv ist. Als ich klein war, stellte uns der Priester im Religionsunterricht jeden Freitag die Frage: „Was habt ihr diese Woche Gutes getan?“ So hat er uns beigebracht, den Blick für die Zeichen der Gegenwart Gottes um uns herum zu unterscheiden, mehr noch, teilnehmen zu wollen, uns zu engagieren.
Ich glaube, darin wurzelt meine Fähigkeit zum Staunen. Dieser Priester hat uns auch das Leben der Heiligen entdecken lassen. Nicht so sehr die wunderlichen Dinge, die ihnen passieren; nein, er wollte uns entdecken lassen, wie gerne diese Glaubenszeugen die Leute mochten, sie liebten: Don Bosco und seine Jugen in Turin oder der Hl. Vinzenz von Paul und die Armen …
 
Es gibt also etwas Wunderbares in der Liebe?
Z.H.: Ja, und das lässt sich in Begegnungen erfahren. Mein Orden, die Jesuiten, hat mir erlaubt, lange Zeit in verschiedenen Ländern zu leben, in Ägypten zum Beispiel, im Libanon, in Frankreich. Diese Reisen waren wundervolle Begegnungen mit unterschiedlichen Zivilisationen. In Ägypten z.B. haben mich die archäologischen Ausgrabungen Staunen gemacht; das Gebet der Kopten, ihr Glaube, ihre Sprache und Liturgie sind unverändert geblieben seit seit es Christen gibt.
Diese Tradition des Glaubens ist wahr, auch bei den Muslimen. In diesen Ländern, die meisten sind sunnitisch, gibt der Islam der Liebe einen größeren Platz. Die Gläubigen beider Religionen bewahren ihre Praxis und ihre sehr alten Traditionen im Dienst des Ideals des Teilens, des Friedens und der Liebe. Das bringt mich zum Staunen, denn es ist nicht selbstverständlich bei den politischen, ökonomischen und sehr starken religiöser Spannungen, die sie ertragen müssen.
 
Denken Sie, dass diese Spannungen die Aufmerksamkeit ablenken und so verhindern, das Wunderbare, das am Werk ist, zu sehen?
Genau so ist es, ja! Die Spannungen zwigen die Leute, den Fokus auf ihre Probleme, die Schmerzen und ihren Zorn zu legen. Ihr Blick ist ganz und gar auf das Negative fixiert, so st es sehr schwer, im Anderen, in dessen Kultur, dem Glauben, den Worten oder Monumenten etwas vom Wunderbaren zu entdecken. Die Aufmerksamkeit ist woanders …
Aber noch eine andere Bedrohung verstellt den Blick für das Wunder, nämlich eine Nivellierung von allem, eine Art „Gleichmacherei“ oder Gleichgültigkeit!.
In Europa und der westlichen Welt, sind diese Beschädigungen noch mehr zu bemerken. Von einem Land zum anderen, ähnelt sich alles: Die Kleider, die Filme, die Handys, die Musik … selbst in den Museen ähneln sich, man macht Ausstellungen, überall in der gleichen Art und Weise …
Aber das Wunderbare kommt sich in der Differenz, der Verschiedenheit zum Ausdruck und ist wie eine Ergänzung zu entdecken und Wert zu schätzen. Allerdings: Keine Kultur ist höherwertig als eine andere, eine solche Vorstellung muss ich weit von mir weisen! Ich bin überzeugt, dass eine Region eine ganz eigene Kultur entfalten kann und das ist es wohl, was es aufrecht zu erhalten gilt. Die Differenz, die ich beim Anderen erkenne, bereichert meine eigene Kultur – nicht, um sie zu kopieren oder sich inspirieren zu lassen, sondern um die eigene Sicht zu erweitern,  nicht zu vergessen, dass man nicht allein auf der Welt ist!
 
Ist das Wunderbare nicht eine Frucht des Erstaunens?
z.H.: Ganz genau! Während meines Studiums in Frankreich habe ich das Staunen gelernt! Als junger Jesuit, hatte ich meine Ausbildung am Centre Sèvres in Paris. Meine Lehrer haben mich in der Philosophie zum Nachdenken über die Toleranz ermutigt. Nach dem Staunen über die Verschiedenheit, kann man sich ihr verschließen oder sie verweigern oder man nimmt sie an und wird bereichert. 
Die Toleranz erlaubt die Offenheit, Andere und Andres zu akzeptieren, in Ideen, Kulturen, ohne zu verurteilen anzunehmen was und wie es ist – das ist eine ganz wesentliche Bedingung, um sich für das Wunderbare der Verschiedenheit zu öffnen und auch für alle möglichen Verschiedenheiten. die Liebe, die Freundschaft, die Zukunft, die Kunst … ja sogar der Wunder!
Das ist die Quelle all dessen, was als Wunderbar qualifiziert werden kann. Der Schlüssel zum Wunder, ist das Annehmen der Verschiedenheit, die sich mir anbietet!
Die Frohbotschaft lädt ein und fordert zum gemeinsamen Leben heraus, zu einer universellen Geschwisterlichkeit – aber sind wir dazu bereit? Das wäre ein Wunder – und es ist nicht der Fall! Deswegen gehen die zerstörerischen Kriege weiter.
 
Sie leben ein einem Land im Krieg, inmitten von Gewalt …. wie können sie noch an die Güte, den Frieden und an das Wunder glauben?
Z.H.: Weil ich gläubig bin! Das Wort Gottes hat mich in diesem infernalischen Krieg gestützt. Dank der Frohbotschaft habe ich nie aufgehört zu glauben, dass die Lösung in der Begegnung mit Anderen und deren Verschiedenheiten liegt. Sie sind keine Bedrohungen, sondern Chancen, die es zu entdecken gilt. Das Evangelium hat mir meine Ablehnungsreflexe genommen und auch die falschen Vorstellungen von anderen Traditionen. So habe ich in Homs – im Sinne der Frohbotschaft – niemals _nur_ für die Christen da sein können.
 
Das ist sicher nicht so leicht ?
Z.H.: Natürlich nicht! Es ist ein steter Kampf gegen die eigenen Vorurteile, die zu überwinden sind; die Unbegreiflichkeit, das Unverständnis – man muss lernen, es zu lassen. Bei mir zu Hause ist Sympathie für Muslime nicht gern gesehen, wie auch Freundschaft mit nicht-katholischen Christen. Aber ich bin überzeugt – bevor man Kurde oder Tscherkesse ist, gläubig oder arabisch spricht – der, der mir begegnet, ist zuerst ein Bruder!
 
Sie verbinden das Wunderbare mit der Begegnung, warum das?
Wenn man im Krieg all seine materiellen Güter verloren hat, was bleibt dann, wenn nicht die Beziehungen – wenn sie noch möglich sind? Wie kann man diesen Beziehungen eine Chance geben, wenn sie nicht als Wunderbares betrachtet werden, das zu erkennen und anzunehmen ist? 
Das ist der einzige Weg, mein Land wieder aufzubauen und unseren Kindern eine Zukunft zu geben. Der Krieg ist noch nicht zu Ende, aber man darf keine Zeit verlieren, sondern schon jetzt das Wunder der Versöhnung und der Zukunft zu leben. Ohne Zögern, müssen wir – auch nur den Schimmer von Freundschaft und Empfinden mit den Nachbarn – ausfindig machen. Unsere Entscheidung trotz den Krieges in Syrien zu bleiben, liegt in dieser Logik. Wir sind geblieben zum Zeichen, dass der Frieden wiederkehren wird und wir ohne Zögern dran arbeiten.
In Homs bleiben, um friedlich zu widerstehen, wie Schwester Valentine, eine Ordensfrau, die trotz ihres sehr fortgeschrittenen Alters, alles gemacht hat, dass das Leben unter den Bomben möglich geworden ist – eben durch Freundschaft und mit Respekt, Offenheit, Empfangsbereitschaft.  
Genau wie P. Frans van der Lugt, ein Jesuitenbruder, ein wahrhafter Märtyrer dieses Krieges – er ist 2014 in Homs ermordet worden – der mit den anderen hier geblieben ist, Nahrungsmittel, Medikamente und Kleider an alle verteilt hat, die es notwendig hatten – ohne Unterschied, einzig im Namen der evangelischen Geschwisterlichkeit. Durch seine Gegenwart hat er das Herz des Wunderbaren der Frohbotschaft zum Ausdruck gebracht: Gott lässt den Menschen niemals allein! P. Frans hat sein ganzes Leben damit zugebracht, sich dieser so schönen, guten, sanften und so zärtlichen Nachricht von der wunderbaren und bedingungslosen Liebe Gottes für jeden einzelnen der Menschen, zu verbinden. Ja, das Wunderbare, das ist die Liebe! Genauer noch – mit Liebe hin zu schauen!
 
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(1) Ziad Hilal SJ, lebt seit ca. 13 Jahren in Homs. Er ist Autor und ehemaliger Direktor des „Jesuit Refugee Service“ in Homs/Syrien, aktuellerweise Gründer eines ‚Pädagogischen Zentrums zur Erziehung von Kindern zu Frieden und Versöhnung‘. Sein jüngstes Buch: „Homs – unzerstörbare Hoffnung“ (fz. Homs, l’espérance obstinée) ist im Februar 2019 im Verlag Bayard erschienen (Das Buch ist nicht übersetzt und bis dato nur in französisch erhältlich).
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Der Beitrag erschien mit freundlicher Genehmigung der Chefredaktion von „La Croix – croire“ – übersetzt von Walter L. Buder – im Vorarlberger KirchenBlatt Nr. 1 vom 9. Jänner 2020 (=> Download des PDF über issu.com)