Die Protagonisten/innen (v.l.) Marlene Giesinger, Walter L.Buder, Amma Lenzi, Jürgen Schäfer und Annamaria Ferchl-Blum (Moderation) ©Silke Sommer

„Das Volk braucht Poesie wie Brot“ (Simone Weil)

„Es war ein Experiment und es ist gelungen“ waren Gastgeber und Gäste in der Buchhandlung ARCHE sich einig. Der Einladung zu Lesung und Gespräch über „Poesie und Spiritualität“ an zwei Nachmittagen in der Fastenzeit, freute die Poeten/innen Emma Lenzi, Marlene Giesinger, Jürgen Schäfer und Walter L. Buder ebenso wie die gar nicht so kleine ‚Gemeinde‘ der Lyrik-Gedichte-Poesie Freundinnen und Freunde. 
 
v.l. Walter L. Buder, Emma Lenzi, Annamaria Ferchl-Blum (Moderation) ©UBG

Unter der Moderation von Mag. Annamaria Ferchl-Blum haben jeweils zwei Autoren/innen aus ihren Gedichten bzw. poetischen Texten gelesen und lieferten genau damit den Stoff für die erwünschten und erhofften darauf folgenden Gespräche im und mit dem Publikum. Leicht über 35 Personen hatten sich am 15. März (Emma Lenzi, Walter L. Buder) Zeit genommen, während eine Woche später, am 22. März 2019, etwa 15 gesprächsfreudig Poesiefreundinnen und -freunde Zeit genommen hatten, in die Buchhandlung ARCHE zu kommen.   Die Gastfreundlichkeit des Teams um Irmgard Heil (Geschäftsführerin) ist bestechend, der Raum ist weit, hell und offen, durchlässig geradezu, denn die Veranstaltung ist nur durch das Glas des Schaufensters von ‚draussen‘ getrennt. 

 
Man hatte sich sich – der Zeit des Kirchenjahres andeutungsweise entsprechend – einen Themenrahmen bei Simone Weil (1909-1943): „Das Volk braucht Poesie wie Brot“ und – diesen Gedanken weiterführend und vertiefend – bei Ingeborg Bachmann (1926-1973), ausgeliehen: „Dieses Brot müsste zwischen den Zähnen knirschen und den Hunger wieder erwecken ehe es ihn stillt…“. In ihrer ersten Poetik-Vorlesung (1960) in Frankfurt hatte sie das Zitat von Simone Weil aufgenommen und so zu Ende geführt: „…Und diese Poesie wird scharf von Erkenntnis und bitter von Sehnsucht sein müssen, um an den Schlaf der Menschen rühren zu können. Wir schlafen ja, sind Schläfer, aus Furcht uns und unsere Welt wahrnehmen zu müssen.“ 
 
Es waren denn auch recht „steile Einstiege“, die da von Marlene Giesinger (Altach), Emma Lenzi (Fußach) und den beiden Autoren Jürgen Schäfer und Walter L. Buder den aufmerksamen Zuhörern/innen angeboten worden sind. Alle vier Poeten haben ihre Texte im letzten Jahr auch in Buchform publiziert. Ihre poetische Arbeit ist eingebettet in eine erstaunlich rege und vielfältige lyrisch-literarische Szene in Vorarlberg. 
 
Doch der Reihe nach: Am 15. März, sind Emma Lenzi (Fußach) und Walter Buder (Bregenz) ‚angetreten‘. Wie sehr die Poesie eine Brücke zwischen Spiritualität und Glauben zu schlagen imstande ist, auch wenn diese im eng geflochtenen Netzwerk des ganz gewöhnlichen Lebens oft unbemerkt und kaum beachtet sind. Der drängende Realismus in der Poesie Emma Lenzi versteckt sich nicht im Tageslärm, sondern gibt einen Ton vor und sorgt für einen Takt, der den inneren Lebens-Rhythmus provoziert. Ihr letztens erschienener Gedichte-Band „Was heißt schon Alltag“ dokumentiert mit unersschrocken-lakonischer Einfachheit den An- und Zuspruch, der aus der Wirklichkeit kommt. Walter L. Buder bot neben der Lyrik aus dem 2017 erschienenen „dich“ auch neue Texte an, die den dortigen lyrischen Duktus zwar aufnehmen aber ganz neu formatieren. Zum Großteil in der Form des Haiku, wirken sie oft als Trigger, wecken Erinnerung und tendieren in Richtung eines Trostes, der – nach Art des einstigen biblischen Mannas – aufgelesen werden kann und in den mühsamen Lebensetappen als eine Art Instant-Nahrung, den Mur zur Wirklichkeit nähren. 
 
v.l. Jürgen Schäfer, Marlene Giesinger am 22. März 2019: Poesie wie Brot ©WB

Ganz andere Klänge, Töne und Bilder hatten am zweiten Poesie-Freitag in der ARCHE die Altacher Diplompädagogin und Religionslehrerin Marlene Giesinger und der ehemalige reformierte Pfarrer und jetzige Seelsorger im Bonetti-Haus, Jürgen Schäfer mitgebracht. Marlene Giesinger sucht und findet in ihren unverhohlen religiös-spirituellen Textkompositionen „Spuren nach Emmaus“ (2018, Pustet-Verlag), die immer auch zu den Quellen im eigenen Inneren führen. Das Buch hätte – allein deswegen – einen seriöseren Untertitel verdient als: „Gedichte, die das Leben schrieb“, zumal sich die Autorin mit ihren klugen und reflektierten Glaubensgedanken nicht hinter einem „Leben“ verstecken muß.  Jürgen Schäfer ist selbstbewußter, reflektierter Theologe, dem die Poetik als Instrument der Ver-Botschaftung bzw. Ver-Kündigung eines lebendigen, kritischen und leibhaftigen Glaubens nicht fremd ist. Unter dem Titel „In der Liebe sein“ (EYE-Verlag) hat Schäfer eine veritable und durchaus poetisch bewegte „leibhaftige Spiritualität“ skizzierend ins Wort gesetzt. Manchmal sind die schönen Fotos, die das Thema im Buch außergewöhnlich emphatisch mit-gestalten, in ganz leisen Momenten auch in den Worten zu vernehmen. 

 
Achtung – die abschließende Warnung: Das poetische Schaffen von Vorarlberger Autoren/innen kann beachtliche Nebenwirkungen haben, nachhaltige Freude und – in aller Freiheit: Einsicht bewirken. Wir leben in Zeiten, in denen die Normalität von 140 Zeichen von einer Minute auf die andere im Innersten verändern können. Das bedenkend, könnte man meinen, dass Lyrik und Gedichte eigentlich Hochsaison haben. Wir wissen, dass dem nicht so ist. Allerdings: Nicht immer und nicht überall. „Die Buchhandlung ARCHE ist ein guter Ort für Poesie“ brachte es eine Zuhörerin auf den Punkt in ihrer Forderung: „Zugabe, mit zwei Rufzeichen“. (wb)