ⓒ Johannes Heil

Auferstehung in der Praxis (1)

Das Realitätsprinzip
 
Der Glaube an einen gewissen Zimmermann aus Galiläa namens Jesus, gestorben und auferstanden in Jerusalem „unter Pontius Pilatus“ – das heißt konkret: in einer kleinen Provinz des Römischen Reiches, die von einem Funktionär der römischen Reichsadministration regiert (besser wohl: gemanagt) wurde – war sehr effizient, um auf den Boden der Tatsachen zu kommen. Dieser Glaube ist viel zu situationsverbunden, um uns in der Welt der Abstraktionen von „Wissenschaften“ oder „Spiritualitäten“ schweben zu lassen. Vor allem das Ereignis der Auferstehung, ist ein ziemlich strenges Realitätsprinzip. Die daran geglaubt haben waren Fischer, die ihre Netze flicken konnten; Maurer, die fähig waren, Kathedralen zu erbauen; Mönche, die es gewohnt waren, Neuland zu erschließen und Felder zu bearbeiten. Es waren extrem praktische und konkrete Menschen. An den Auferstandenen zu glauben, das war für diese Leute so solide wie Weizen anzupflanzen oder eine romanische Basilika zu bauen. Eigentlich aber  noch solider, denn sie stützten sich auf diesen Glauben, gleich ob sie ein Gewölbe hochzogen oder ihr Getreide.
 
Die Osterevangelien gehen alle in diese Richtung. Sie nehmen unsere Hirngespinste und bürsten sie gegen den Strich. Einen Menschen, der in der göttlichen Herrlichkeit lebt, würden wir uns unweigerlich so vorstellen, dass er ganz Aussergewöhnliches gemacht haben muss – und noch viel heller strahlt wie ein Filmstar bei der Oscarverleihung oder einen, der/die mit Sternen jongliert und dazu noch eine Harmonie eingerichtet hat, in der „der Wolf beim Lamm Schutz findet / der Panther beim Böcklein liegt“ (Jes 11,6). Aber faktisch muss man sich klar werden, dass der auferstandene Jesus nichts von alledem getan hat. Abgesehen von einem Netz, zum Bersten voll mit Fischen, und einer Himmelfahrt, anlässlich derer zwei in Weiß gekleidete Männer ziemlich ernüchternd bemerken: Was steht ihr hier und schaut zum Himmel (Apg 1,11), hat er kaum Wunder vollbracht. Wenn er aber Wunder tut, sind es irgendwie ‚verkehrte‘ Wunder, im Sinn nämlich von Diskretion, Zurückhaltung, des Ganz-Normalen -Nullachtfünfzehn also.
 
Interessanterweise glänzt und strahlt er nach seiner Auferstehung nicht nur weniger als seit der Himmelfahrt auf dem Berg Tabor – er hat auch nicht mehr sein früheres Charisma: Maria Magdalena hält ihn zuerst für einen einfachen Gärtner, die Jünger auf dem Weg nach Emmaus halten ihn für den Unwissendsten aller Einwohner von Jerusalem, die Apostel meinen, am Ufer des Sees von Tiberias einen Fischer im Ruhestand vor sich zu haben …  Aber er hat den Tod erlitten, ist aus den Höllentiefen wiedergekehrt und trotz alledem legt er aus einer unerklärlichen Schamhaftigkeit heraus Wert darauf, wie ein Passant zu erscheinen: Er war da, in ihrer Mitte (Lk 24,36; Joh 20,19 und 26).  Die Evangelisten bestehen auch auf dieser Bescheidenheit. In ihrer Mitte – das drückt eine überraschende Vertrautheit aus, die viel überraschender als jede fantastische Erscheinung, die man sich in der Logik der Ereignisse durchaus erwarten würde.
Und käme es schon hier zu einer derartigen Erscheinung, bräuchte man nicht mehr zu lesen, was da geschrieben steht: Man stellt sich dann einfach vor, dass er durch Mauern gegangen ist, esoterische Botschaften verkündet, und wie ein Supermann durch Mauern geht, natürlich mit einem strahlenden Heiligenschein.
 
Aber: Nein! Er war einfach da! Er sagte ihnen: Der Friede sei mit Euch! – gerade so, wie man „Guten Tag!“ sagt oder „Grüß Gott!“. Er hat das Brot gebrochen, gegrillten Fisch gegessen, er hat ihre Mahlzeit geteilt. Er erklärt ihnen die heiligen Schriften, so wie man jemanden bei Tisch erzählt, was einem letzthin für ein Abenteuer passiert ist. Und an Stelle einer Machtdemonstration – z. B. einen Stahlträger mit der Macht der Gedanken zu verbiegen – zeigt er ihnen seine Wunden. Bei gewöhnlichen Wundern verschwinden die Wunden; hier aber bleiben sie – für immer und ewig! 
Aus: Fabrice Hadjadj, Résurrectoin – Mode d’Emploi. Paris (Magnificat) 2016, Ss. 11-13. (Zum französischen Verlag Magnificat)
Übersetzung: Walter L. Buder