©Ulrike Buder-Gassner _ Kriegerdenkmal (Albert Bechtold) und Gedenk-Stele für Ernst Volkmann (Georg Vith)

Provozieren und heilen

Im Schatten der Bregenzer Sankt Gallus-Kirche steht das monumentale Kriegerdenkmal von Albert Bechtold (1885-1965) in einem spannungsvollen Dialog mit Georg Viths elegant-zarter Stele als Gedenkstation für den Glaubenszeugen Ernst Volkmann. Ein Grenzgang zwischen Kunst und Glauben von Walter L. Buder

An der Nordseite der Bregenzer Galluskirche stehen sich zwei Erinnerungswelten gegenüber, die – eine jede für sich und in ihrem Zu-, Gegen- und Miteinander – von der Dynamik der Sinn- und Glaubenswelten erzählen, in denen das Entscheiden und das Opfer(n) Hauptrollen spielen. Die Konfrontation mit dem Ensemble der Werke – an Ort und Stelle (!) – entfaltet offenbarende Kraft. 

Das erzwungene Opfer. Bechtolds Kriegerdenkmal aus dem Jahr 1931 ist eine dunkle, mächtige und of- fen begehbare Toten-Ehren-Festung. Alles an diesem eindrucksvollen bildhauerischen Werkkomplex spricht die Sprache des Opfers: Die vier massiven Vierkantsäulen tragen – in Metalltafeln eingegossen – hunderte Namen getöteter („gefallener“) und vermisster Soldaten beider Kriege; im Zentrum dominiert eine pathetisch hingekrümmte Männergestalt, die – im Fallen, Sterben (?) noch – mit der Linken ein Schwert fasst. Der „Gedenkkoloss“ signalisiert – nolens volens vielleicht – Macht und Masse, Blut und Boden und gibt dem unsichtbaren Geist des „erzwungenen“ Opfers Gestalt. Es wird so „immer schon“ eingefordert, von scheinbar absoluten Autoritäten – für „Gott, Kaiser und Vaterland“ oder für die Fiktion eines 1000-jährigen Reiches oder – in der aktuellen Konsequenz – für die atomare Selbstauslöschung. 

Ein spirituelles Investment.  Schlank, fast zierlich in ihrer provokanten Aufgerichtetheit, verkörpert die hellblaue Metall-Stele – den Hal- testellen der Bregenzer Öffis nachempfunden – die Erinnerung an das Leben und Sterben des Familienva- ters Ernst Volkmann (1902-1945). „Das Sujet der Bushaltestelle vermittelt gewohnten Alltag“, erläutert Georg Vith. Wo „normal“ der Fahrplan ist, steht die Biografie Volkmanns. Wohin die Reise dieses Einzelnen, des Nein-Sagers zu Hitler, des Kriegs-und Gewalt-Verweigerers aus christlichem Glaubensgrund, eines willentlich-entschiedenen Christus-Nachfolgers führte, berichtet das Faksimile der Sterbeurkunde auf der Rückseite der Stele. Das Wohnhaus, die St.-Gallus-Kirche und das Kriegerdenkmal im Horizont der regelmässig gegliederten Skyline der Bregenzer Oberstadt, bilden die Umgebung, geben den Kontext ab und aktualisieren eine Entscheidungssituation an der „Halte-Stele“, die auf diese Weise zu einer „Gedenk-Station“, einer Nachdenk-Stelle wird, die das Warten einschließt. Ist „Warten“ im Innersten und Wesentlichen nicht eigentlich ein anderer Name für das Opfer an LebensZEIT, eine Art spirituelles Investment am Übergang vom Müssen zum Können, bis am Horizont des Möglichen Unmögliches aufgeht – oder eben auch: umgekehrt ? 

Provozieren und heilen. Dass die Gesellschaft, der Staat von seinen Bürgern/innen Opfer einfordert, ist nicht mehr selbstverständlich wie ehedem. Ein Opfer an Lebens-Zeit darf nicht erzwungen sein. Das lernt man von der Aufklärung seit Kant an ihrem Anfang und mit Habermas an ihrem Ende; Anzeichen auf freies Denken und befreites Handeln (dem Glauben längst vertraut) sind auch im Schatten der Kirche möglich – aber realistisch? Das Leben schlägt oft tiefe Wunden. Sie wollen geheilt sein. Und ein Blick über den existentiellen Tellerrand hinaus, hinüber in die „Wolke der Zeugen“ (Hebräerbrief 12,1) bringt wahrscheinlich noch ganz andere Kaliber und Themen zu Tage. Beileibe nicht nur unter Gläubigen aller Art. Die künstlerische Aufbereitung existentieller Provokationen im Zu-Einander mit Ganzwerden und Heilung als Beitrag des Glaubens scheinen so oder anders unumgänglich. Simone Weil (1909-1943) formuliert die vollkommene Unausweichlichkeit der Aufgabe des letztendlichen Sterbenmüssens: „Wer zum Schwert greift, kommt durch das Schwert um. Wer nicht zum Schwert greift, kommt durch das Kreuz um.“ Die Kunst provoziert, genau wie der Glaube – und beide – wer es fassen kann, der fasse es – eine Art verborgenen Lebens, in dem Zustimmung und Widerspruch versöhnt aufleuchten … 

Der Beitrag ist entstanden auf Einladung von Mag. Wolfgang Ölz, Redakteur des KirchenBlattes, der die Serie „Mein Lieblingskunstwerk“ initiiert und betreut hat. Er wurde publiziert im Vorarlberger Kirchenblatt Nr. 3 vom 21. Jänner 2021 (PDF
__
– Albert Bechtold – Eintrag auf Wikipedia
– Volkmann-Stele auf der Homepage von Georg Vith